
Jedes Jahr im Januar versammeln sich Anhänger der radikalen Rechten am ehemaligen Sitz der Acca Larentia, eines Orts in Rom, der für rechtsextreme Kreise von besonderer symbolischer Bedeutung ist. Der Anlass ist das Gedenken an drei junge Aktivisten der neofaschistischen Partei Movimento Sociale Italiano (MSI), die 1978 bei einem Anschlag vor ihrem Parteibüro getötet wurden. Dabei wird häufig der sogenannte Saluto Romano, der römische Gruß, ausgeführt – eine Geste, die untrennbar mit dem italienischen Faschismus und seiner Symbolik verbunden ist.
Diese Veranstaltungen ziehen nicht nur ältere Generationen, sondern auch junge Anhänger an, darunter Mitglieder der Jugendbewegungen von Parteien wie den Fratelli d’Italia (FdI), die in Italien als rechtspopulistische bis rechtsextreme Kraft gelten. Der jährliche Gruß erinnert an die nie ganz abgeschlossene Vergangenheit Italiens, die tief von der faschistischen Ära unter Benito Mussolini geprägt ist.
Der Aufstieg des Faschismus in Italien
Der italienische Faschismus entstand in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, als das Land von wirtschaftlicher Instabilität, sozialen Spannungen und einer politischen Krise geplagt wurde. Benito Mussolini, ein ehemaliger Sozialist, gründete 1919 die Fasci di Combattimento, eine Bewegung, die Nationalismus und autoritäre Kontrolle propagierte. 1921 wandelte sich diese Bewegung in die Partito Nazionale Fascista (PNF) um, die sich als Verteidigerin von Ordnung und Einheit gegen die als Bedrohung wahrgenommenen Sozialisten und Kommunisten positionierte.
Nach dem sogenannten Marsch auf Rom im Oktober 1922, einer inszenierten Machtdemonstration der Faschisten, ernannte König Viktor Emanuel III. Mussolini zum Ministerpräsidenten. In den folgenden Jahren wandelte Mussolini Italien in einen totalitären Staat um. Die Presse wurde gleichgeschaltet, politische Gegner verfolgt, und die PNF wurde zur einzigen legalen Partei des Landes.
Die Ideologie des italienischen Faschismus basierte auf Nationalismus, der Glorifizierung des Staates und der Ablehnung von Demokratie und Marxismus. Es wurde ein Kult um Mussolini geschaffen, der als „Duce“ (Führer) verehrt wurde. Auch die Wirtschaft wurde unter staatliche Kontrolle gestellt, während soziale Programme und eine starke Betonung traditioneller Werte das Regime stützten.
Der Niedergang und das Nachleben des Faschismus
Mit dem Eintritt Italiens in den Zweiten Weltkrieg 1940 und den militärischen Niederlagen begann der Niedergang des Regimes. 1943 wurde Mussolini von der italienischen Regierung gestürzt und die Repubblica Sociale Italiana (RSI) unter seiner Führung als Marionettenstaat der Deutschen im Norden gegründet. Nach dem Ende des Krieges 1945 wurden Mussolini und andere führende Faschisten hingerichtet, und Italien wandelte sich zu einer Republik.
Trotz des offiziellen Endes des Faschismus blieb dessen Erbe in Italien präsent. Bereits 1946 wurde das Movimento Sociale Italiano (MSI) gegründet, das als Sammelbecken für ehemalige Faschisten diente. Auch in späteren Jahrzehnten blieben faschistische Symbole und Ideen in bestimmten politischen Kreisen erhalten, besonders in rechtsextremen Bewegungen.
Fratelli d’Italia und ihre Jugendbewegung
Die Fratelli d’Italia (FdI), gegründet 2012, sieht sich offiziell als konservative und nationalistische Partei. Sie steht jedoch in ideologischer Nähe zum MSI und anderen rechtsextremen Strömungen. Die Parteivorsitzende Giorgia Meloni, die seit 2022 als Ministerpräsidentin Italiens fungiert, begann ihre politische Karriere in der Jugendorganisation Azione Giovani, die zum MSI-Nachfolger Alleanza Nazionale gehörte. Meloni hat wiederholt die faschistische Vergangenheit verurteilt, verwendet jedoch oft nationalistische und traditionelle Werte, die stark an die Rhetorik vergangener Zeiten erinnern.
Die Jugendbewegung der FdI, die Gioventù Nazionale, ist aktiv in der Mobilisierung junger Menschen. Sie betont nationale Identität, konservative Werte und die Bedeutung der italienischen Geschichte, einschließlich umstrittener Aspekte. Kritiker werfen ihr vor, eine Nähe zu faschistischer Symbolik und Ideologie zu pflegen, während sie offiziell demokratische Werte vertritt.
Der Saluto Romano und die politische Landschaft heute
Die Veranstaltung in Acca Larentia zeigt, wie tief verwurzelt das Erbe des Faschismus in Teilen der italienischen Gesellschaft geblieben ist. Der Saluto Romano, der offiziell als verfassungswidrig gilt, wird von vielen Teilnehmern der Veranstaltung als Teil ihres historischen Selbstverständnisses verteidigt. Für die Jugendbewegungen wie die Gioventù Nazionale bleibt die Gratwanderung zwischen traditioneller Symbolik und moderner Politik eine Herausforderung.
Während Italien offiziell die Werte der Demokratie und des Antifaschismus hochhält, gibt es weiterhin Spannungen zwischen den Verurteilungen der Vergangenheit und der Realität, dass Elemente dieser Vergangenheit in Teilen der Gesellschaft und Politik fortbestehen. Der jährliche Gruß vor der Acca Larentia ist ein Symbol für diese widersprüchliche Beziehung zu Italiens Geschichte.
Die Acca Larentia und ihr symbolträchtiger Sitz in Rom
Die Acca Larentia ist ursprünglich eine mythische Figur aus der römischen Geschichte. In der Legende wird sie als die Frau beschrieben, die Romulus und Remus, die Gründer Roms, aufzog. Ihr Name wurde später für verschiedene Orte und Institutionen in Rom verwendet, darunter eine Straße und das ehemalige Parteibüro des Movimento Sociale Italiano (MSI) in der Via Acca Larentia, das in den 1970er Jahren ein zentraler Treffpunkt der neofaschistischen Bewegung war.
Der Sitz der Partei in der Via Acca Larentia erlangte tragische Bekanntheit, als dort am 7. Januar 1978 ein Angriff stattfand, bei dem drei junge Aktivisten getötet wurden: Franco Bigonzetti, Francesco Ciavatta und später Stefano Recchioni, der während der anschließenden Proteste erschossen wurde. Die Täter des ursprünglichen Anschlags sollen aus linksextremen Kreisen stammen, wobei die genauen Umstände bis heute umstritten bleiben.
Der Vorfall markierte einen Höhepunkt der politischen Gewalt in den sogenannten „Bleiernen Jahren“ (Anni di Piombo), einer Phase intensiver ideologischer und sozialer Konflikte in Italien. Seitdem hat der Ort eine starke symbolische Bedeutung für rechtsextreme Gruppen erlangt. Jedes Jahr im Januar gedenken Anhänger der radikalen Rechten der Opfer und feiern sie als „Märtyrer“. Dabei wird häufig der Saluto Romano ausgeführt, was regelmäßig für öffentliche Debatten sorgt.
Die Acca Larentia bleibt nicht nur ein Mahnmal für die politische Gewalt dieser Zeit, sondern auch ein Ort, an dem das Erbe des italienischen Faschismus und die Spannungen zwischen Demokraten und radikalen Gruppen sichtbar werden. Sie ist ein Beispiel dafür, wie tief die Wunden der Vergangenheit in Teilen der italienischen Gesellschaft nachwirken und immer wieder neu interpretiert werden.
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